ART BRUT

ANA SCHÖNSTEINER


"Einer lebenden Künstlerin, nachgerufen"
Michael Järnecke


Ana Schönsteiner, Berlin Schöneberg - 2015
Ana Schönsteiner, Berlin Schöneberg - 2015

Ana Schönsteiner kam rothaarig zur Welt, wuchs rothaarig auf und lebte ein rothaariges Leben. Was feuerrotes Haar im katholischen Franken mit weit zurückliegenden abergläubischen Wurzeln bedeutet, wissen diejenigen, die es angeht und jene Forscher, die sich mit Aberglauben, Volkstum und Bräuchen beschäftigen. Die Germanen warfen rote Eichkatzen lebend ins Feuer. Ana lebte sowohl erzwungen wie aus eigenem Wesen ein ungebändigtes Leben.

Um dieses Leben, das die Quelle ihrer Kunst ist, zu charakterisieren, ohne etwas daraus zu erzählen / verraten, weist der Verfasser dieser Zeilen Nachrufs zu Lebzeiten auf folgenden Umstand hin. Sollte es einen Himmel geben, in den nicht alle, eigentlich die Wenigsten Einlaß finden, aber Ana Schönsteiner. Sie gehört zu jenen Sünderinnen, für die die Tore der Himmel immer weit offen stehen, weil sie immer zu viel von jener Liebe gaben: und könntest du mit Engelszungen reden und hättest der Liebe nicht, ... Zuviel von diesem Herzen zu besitzen, das kann nur der Himmel wieder gut machen.

Ihre Kunst fällt in jenen Kreis von Arbeiten, die wir art brut nennen. "brut" nicht als brutal, sondern als natur, als wild, naiv, ungekünstelt. Autodidaktisch sind diese Arbeiten insofern, wie man sagen muß, daß altsteinzeitliche Jäger, die die Höhle von Lascoux ausmalten, keine akademische Ausbildung hatten. Sie hatten eine einzigartige Begabung, ein lebenslanges Üben und einen starken Willen nach einem Zauber.
Nahezu alle Arbeiten Ana Schönsteiners weisen das eher seltene Vorkommen jener Linie auf, die unter Malern und Kunsthistorikern "line of beauty and grace" heißt. Was bei den Magiern der steinzeitlichen Jäger ein Jagdzauber war und bei den späteren Malern die Magie einer Linie aus Schönheit und Grazie, ist bei Ana Schönsteiner die Linie aus Schönheit, Grazie und Schmerz. Sie besitzt diese Linie und ist von dieser Begabung nie verlassen worden, an keiner Streichholzschachtel, die sie bemalte, an keinem Gemälde, an keiner Zeichnung die ihr aus der Hand floß.

"Viva la vita"
Ana Schönsteiner beim Stolperstein-Putzen, Berlin Schöneberg 2015
Ana Schönsteiner beim Stolperstein-Putzen, Berlin Schöneberg 2015

Die Stationen ihres Lebens liegen in Königsfeld, Bamberg, Hamburg und Berlin. Von 1983 bis 2003 lebte sie zwanzig Jahre in Hamburg. Löwenstraße, Verbindungsbahn, Marthastraße. Heute lebt Ana Schönsteiner in Berlin. Eine Quelle ihrer Arbeiten ist ihr persönliches, das ist unser aller Leben. Diese Quelle fließt spontan. Sie zeichnet und coloriert auf der Wiese, in Lokalen, im Zoo, am Schlachtensee, bei Lesungen, wo auch immer.

Das andere sind die großen Themen aus Literatur und Mythologie, von wo aus sie loszieht und wohin sie immer wieder zurückkehrt um angeregt und systematisch an ihnen zu arbeiten. Orpheus und Eurydike, Isis und Osiris, Dantes Göttliche Komödie, um nur einige zu nennen.

Eine dritte Quelle sind Frauenpersönlichkeiten, die Bachmann, Christina von Schweden und ungezählte andere.

Das Vierte ist der Katholizismus, der sie prägte, auch in der Ketzerei. Ihn ihren Arbeiten zeigt sich die Sinnlichkeit des katholischen Ritus, die Phantasmagorie einer Welt von Licht- und Erlösergestalten, das Martyrium, das Lamm, die Seligsprechungen, die Verdammnis. Kirchen bleiben ein Zufluchtsort in ihrem Leben.

In Ana Schönsteiners Arbeiten amalgieren diese Quellen zu einer Einheit, deren Lobpreisung bei ihr selber schlicht lautet: "Viva la vita"

Ana Schönsteiner lebt von ihrer Kunst.

Michael Järnecke, 2008

Original von Ana Schönsteiner
Original von Ana Schönsteiner

Fotos: Aus den Jahren 2014 bis 2022. Während dieser Zeitspanne war ich zwei Mal in Berlin, traf die Künstlerin und war mit ihr bis April 2022 telefonisch und per Mail in Kontakt. Rund 300 Blätter im A-4-Format sind in Prag, 50 wurden verschenkt.  AUGnerin, Milena Findeis


ANA SCHÖNSTEINER

9. April 1952 geboren in Königsfeld, lebt seit 2002 in Berlin Schöneberg

Stationen/Ausstellungen/Projekte (Auswahl)

1977 Mit Zeichnungen, Ich-Lyrik, Ausstellungen auf Kunstgang geschwenkt

1982 "Einfach so...", Grafik und Gedichte in einem Buch, herausgegeben vom Ladewig Verlag, Bamberg

1984 Umzug nach Hamburg. Einzelausstellungen, Lesungen, Performances; Zusammenarbeit mit Musikern, Schauspielern und Kunstfreunden; bühnenreife Spektakel werden gezeigt

Ausstellung zu "ROMA AMOR"-Serien, Galerie "heimart" Hamburg. "Der Kreis geht auf den Strich". Die "Eintagsfliege" schaut von der Bühne, 12 Stunden-Präsentationen an ungeahnten Orten

1989 -1999 Italienreisen: Rom, Palermo, Florenz, Sardinien: die Geschichte und die Geschichten ergeben "History-Surfing- Monologmoloche" - Bühnenauftritte, die mit Ausstellungen verbunden werden

1994 mietet Ana zwei Hamburger Galerien (KÖ I und Schaufenster-Galerie) und arbeitet vier Wochen vor Ort im Schaufenster mit zehn eigenen Veranstaltungen; holt 20 Mitstreiter heran und nennt das Ganze "Viva la Vita".

1995 Unikatbücher und Buchobjekte, arbeitet mit und über Textelementen von Dante, Ingeborg Bachmann, Pablo Neruda, KIKI Paris. Kampnagel-Fabrik Hamburg: Performance "Denken allein hilft nicht"; Museum für Lüneburgsche Geschichte: Performance "Ein Rundstück mit Herz"

1996 gründet Ana das Duo »Harfe & Pinsel« mit Almut Starke: Shows auf Kleinkunstbühnen, u.a. Foolsgarden Hamburg, Thea-Lit Bremen

1997 Einzelausstellungen, Eintagsfliegen-Präsentationen in Schreinerwerkstätten. Fritz Noak & Freunde, Gemeinschaftsausstellung Galerie "KÖ I" HH; Fritz Noak engagiert Ana für eine Rolle in seinem Film-Zwölfteiler

1998 Einer Paris-Reise folgt eine Bilder- und Präsentationsflut

2001 zweiter Paris-Aufenthalt: Ausstellung vor Ort, Frottagen mit Malerei und Textfragmenten. Der Lebensunterhalt wird bestritten als Köchin für Kinder aus aller Welt in der Diakonie Hamburg Altona

2002 zieht Ana nach Berlin, Überlebenskampf. "Veneziana" Crellestraße Berlin. Erste Zusammenarbeit mit dem Pianisten Wolfgang Friedl, es werden vier CDs mit dem Label "Siebenschläfer" produziert

2003 "Das Rätsel der blauen Bananen" Abendessen und Tombola im Lokal Antiqua; Eventcharakter, geladene Gäste, gleichzeitig Präsentation der neuen Bilder. "WeinLese", eine Roma-Amor Performance, Crellestraße Berlin

2004 "Frauen sehen Frauen" Galerie Kühn, Bremen Lilienthal. Ausstellung und Performance, Galerie Ideenreich, Berlin, Pariserstraße

2005 Auftritte in der Hendrickx Bar Berlin mit Piano-Performance. Galerie Sturmwerke, Berlin Albrechtstrasse Gemeinschaftsausstellung "Nowak", Performance mit Lesung und Piano by "Lucky`Pizzeria", Willmannsdamm

2006 "Hand aufs Herz" Performance, CDs: "Heimweh & Zirkussblut", "SAMTPROVIANT"

2007 "Granatapfel" Zyklus und "Anaeske Amazonen". Private Präsentationen. Dozenten-Job für kreative Technik und ungewöhnliche Kommunikations-Strategien. Kunstfest III/ Galerie Borchert & Schelenz

2008 Arbeiten für das "Museum der Wahrheit" Michael Järnecke, Horneburg/Issendorf. "Ich maile, also bin ich", Unikat Künstler-Email Tagebuch WORTFIEBER

Seit 2009 werden täglich Bilder gemalt und auf X  - vormals twitter - gezeigt