Kafkat & Milovat
"Er kannte die Welt in tiefer, außergewöhnlicher Weise, und er selbst war eine außergewöhnliche und tiefe Welt. Seine Bücher gehören zu den bedeutendsten der jungen deutschen Literatur; in ihnen ist der Kampf der heutigen Weltgeneration, freilich ohne ein tendenziöses Wort. Sie sind wahr, nackt und schmerzhaft, und zwar so, daß sie auch da, wo sie sich symbolisch ausdrücken, geradezu naturalistisch sind. Sie stecken voll trockenem Spott und haben den sensiblen Blick eines Menschen, der die Welt mit einer Klarheit gesehen hat, dass es für ihn nicht zu ertragen war, dass er sterben musste, denn er war nicht andere, willens, zurückzuweichen und sich zu flüchten in was auch immer für unterbewusste intellektuelle Irrtümer, mögen diese auch noch so ehrenwert sein."
Milena Jesenská, Národní listy, Prag 6.6.1924
KAFKA-ESQUE - Ausstellung, DOX, Prag: 9.2. - 22.9.2024
Anlässlich des 100. Todestages von Franz Kafka.
Werke international anerkannter Künstler, für die Franz Kafkas Werke bis heute eine Inspiration sind. Die Ausstellung wird von einer Reihe von Veranstaltungen begleitet, darunter literarische Lesungen, Filmvorführungen und Konzerte.
Ausstellende Künstler: Josef Bolf, Quay Brothers, Pavel Büchler, Mat Collishaw, Vladimír Doležal, Rowynn Dumont, Martin Gerboc, Douglas Gordon, Matouš Háša, Gottfried Helnwein, Siegfried Herz, Jake und Dinos Chapman, Magdalena Jetelová, David Lynch, Volker März, Stefan Milkov, Jan van Oost, Wolfgang Pavlik, Viktor Pivovarov, Nil und Karin Romanovy, Jaroslav Róna, Nicola Samori, Marek Schovánek, Liou Sia, Jakub Špaňhel, Jan Švankmajer, Johan Tahon, Mark Ther, Alexander Tinei, Maciej Toporowicz
Kuratoren: Otto M. Urban, Leoš Válka, Michaela Šilpochová
Die Sprache kann für alles außerhalb der sinnlichen Welt nur andeutungsweise, aber niemals auch nur annähernd vergleichsweise gebraucht werden, da sie, entsprechend der sinnlichen Welt, nur vom Besitz und seinen Beziehungen handelt.
Franz Kafka, Aphorismen
Alena Wagnerová hat 1997 im Bollmann Verlag Im Hauptquartier des Lärms, Die Familie Kafka aus Prag, veröffentlicht. 2003 erschien es in tschechischer Übersetzung von Lucy Topol'ská im Prostor Verlag. Die 1936 in Brno geborene Autorin, Übersetzerin hat sich literarisch eingehend mit dem Leben und Werken von Milena Jesenská, Sidonie Nádherný, Jarmila Mayerová-Hašková und sich mit den Schicksalen verschiedener Generationen aus dem tschechischen und deutschen Sprachraum auf dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei (Helden der Hoffnung), auseinandergesetzt.
Beim Lesen von Ein Gespräch über Franz Kafka (Hörspiel, Theaterstück von Alena Wagnerová, Frühjahr 2023) macht sich mir ein Fenster zur damaligen Zeit auf: die Folgen des Ersten Weltkriegs (1914-1918) spürbar: das ehemalige K.u.K. Imperium auf die Republik Österreich geschrumpft im Überlebensmodus, hingegen Aufwind in der 1918 neu gegründeten Tschechoslowakei. Es gab Telefon- und Bahnverbindungen zwischen Prag und Wien und die per Post beförderten Briefe wurden damals schneller zugestellt als im Jahre 2024. Damals gab es noch Telegramme - eines Kommunikationsmittels, dessen Kafka sich bediente, wenn er ungeduldig auf eine Antwort von Milena wartete. Freudenhäuser und Stundenhotels, Kaffeehäuser gehörten zum Stadtbild von Wien und Prag. Zeitungen, Bücher, Fotostudios waren im Alltag verankert - Radiosendungen gab es noch nicht, Tonträger und Wiedergabegeräte wurden benutzt.
Das Gespräch vom 6. Juli 1920 wird von dem nicht anwesenden Franz Kafka beherrscht, der von Ernst Pollak als literarische Größe erkannt wurde. 1917 verbrachte Milena - angeordnet von ihrem Vater Jan Jesensky wegen ihres Verhältnis zu Ernst - sieben Monate in der Nervenheilanstalt in Veleslavín. Schlussendlich willigte der Vater - unter der Bedingung, dass beide als Ehepaar nach Wien gehen - der Heirat zu. Ernst arbeitete in Wien als Devisenhändler und führte Gespräche über Literatur und das Weltgeschehen im Café Herrenhof. Milena gab Tschechisch-Unterricht und begann ihre Arbeit als Übersetzerin und Journalistin für Zeitungen in Prag. Durch ihren Ehemann aufmerksam geworden, begann Milena Franz Kafka ins Tschechische zu übersetzen und daraus entstand ein Briefwechsel, der in einem Wien Besuch von Kafka gipfelte.
Seite 9:
Ernst: In den Briefen zu lieben und zu versprechen, wie einfach es ist … Sicher, sie sind wunderschön, einmal werden sie Weltliteratur sein. Das kann ich Dir sagen ..
Seite 26:
Milena: Franz Kafka werde ich lieben und mit Ernst Pollak leben … Wäre es nicht die Lösung? Ist es ein so großer Unterschied zwischen lieben und leben? In dem Wort leben fehlt doch nur das kleine i als zweiter Buchstabe und das ist doch nicht viel. Aber mit Dir leben bedeutet auch, den Menschen Pollak zu lieben, aber mein Mann bist Du für mich nicht. (kleine Pause) Wie Du, als ich in Veleslavín in der Klapsmühle war, um mein Wohl gekämpft hast, ständig zur Hilfe bereit, Dich mit meinem Vater sogar duellieren wolltest, habe ich nicht vergessen; deswegen kann ich Dich nicht verlassen; aber gleichzeitig auch nicht aufhören, den anderen, Franz, zu lieben. …
Ein Spaziergang von der letzten Wohnung Milena Jesenská in der Kouřimská 2326/6 zum Neuen Jüdischen Friedhof, Franz Kafkas Grabstätte. Fünf Gehminuten von dem Milena Jesenská Park in der Kouřimská zur Izraelská und weitere 5 Gehminuten zum ausgeschilderten Grab von Franz Kafka.
Augnerin, Prag 27.3.2024