Balkonien 2021


Zu Jahresbeginn, mittendrin in einem weiteren Lockdown der Wunsch, den Balkon zur grünen Oase zu machen. Einen Kontrapunkt zum Lesen, Fotografieren, Schreiben zu schaffen mit eigenen Händen. Ich bestellte online von einer tschechischen Gärtnerei Samen, Erde, Töpfe. Den Oleander, den Rhododendron hatte ich gleich nach dem Einzug in die Dachgeschosswohnung, im Herbst 2017 gekauft, Ableger von einem alten Geranienstock  und einige andere Setzlinge bekam ich geschenkt.
Ende Februar 2021 begann ich - im Innen der Wohnung - Pflanzen zu ziehen. Es hat mich in den Bann gezogen - zu beobachten - was aus einem Samenkern vermengt mit Erde, Licht und Wasser wird. Der Balkon wurde zu meiner Oase und dort tummeln sich Vögel, Käfer, Bienen, Hummeln, Schmetterlinge, Ameisen, Spinnen - für sie habe ich zwischen den Töpfen Wasser- und Futterstellen errichtet. 

Letzte Nacht, als die Luft - obwohl alle Türen und Fenster  im Wohnungsinneren geöffnet waren - stillstand, übernachtete ich zwischen den Pflanzen auf dem Balkon. Morgens wurde ich von den Vögeln geweckt. Ihnen zuzuschauen, wirkt auf mich belebend. Wie das stille Zwiegespräch mit den Pflanzen, ich betrachte sie einzeln und merke was ihnen bekommt und was nicht. Je nach Wuchsgröße werden die Standorte der Töpfe gewechselt. Der Balkon wurde zur grünen Leseecke und Treffpunkt für Freundinnen, Freunde in der Prager Gartenstadt.

Prag, 21. Juni 2021, AUGnerin


Die Fotos wurden von Ende Mai an bis Mitte Juni 2021 auf dem Balkon gemacht. Balkon: 3,5 x 8 Meter, wie im Innenbereich lege ich Wert auf Flexibiltät, was das schnelle Umändern betrifft und auf Beständigkeit hinsichtlich der verwendeten Materialien, die sollen wiederverwertbar und vielseitig einsetzbar sein. 

Sommer: Blumen und Bücher 

Mitte Juni bis Ende Hitze, tropische Nächten in Prag, ein Tornado an der österreichisch-mährischen Grenze zerstört mehrere Dörfer. Von Anfang bis Ende Juli in Österreich Familie,  Freunde besucht. In meiner Abwesenheit wurde der Balkon von einer Freundin betreut. Freudig überrascht - bei der Rückkehr - einen Dschungel vorzufinden. Erblühen, verblühen. Ein junger Sperling verirrt sich ins Innere der Wohnung,  alle Fenster  werden geöffnet. Er flattert durchs Zimmer, setzt sich auf eine Pflanze, ich setze mich, beobachte ihn ohne mich zu bewegen, sehe das Pulsieren der gefiederten Brust. Warte konzentriert, bis der Vogel nach draußen fliegt. Einige Tage später finde ich einen toten Vogel, ohne äußere Anzeichen einer Verletzung. Sein Körper noch warm, die Augen starr. Er kommt in den Garten unter den Apfelbaum. Beim Nachdenken über den Verwesungsprozess,  was ist wesentlich, jetzt, heute?

Prag, 28. Juli, 2021 Augnerin

Eine Mieterhöhung von 44,44 % für die kleine Dachgeschosswohnung ab 1.1.2022. Das Budget neu sortieren, denn die Rente wird nicht so mitwachsen.

Ich trete hinaus, arbeite mit Erde, Pflanzen und sammle trockne Blätter für den Bio-Abfall. Mich nicht von den Ängsten zusammendrücken lassen und doch landen nächtens die Träume zuweilen bei den Obdachlosen, von ihnen beziehe ich das Magazin Nový Prostor. Leistbarer Wohnraum für alle, das hat Elke Kahr zur Siegerin der Grazer Kommunalwahlen im Herbst 2021 gemacht. Mitten im Transformationsprozess die Augen und Ohren offen halten.  

Prag, 5. Oktober, 2021, Augnerin

Winter 2021

November, Dezember rollten dahin. Das Thermometer schwankte an manchen Tagen um 15 Grad. Warm, kalt. Regen, Schnee, Eis.
Delta wird von Omikron abgelöst. Am 9. Dezember den dritten Stich erhalten. Katzen von Freunden betreut. Von FFP2 auf FFP3 Masken umgestiegen. Der Griff zu einer frischen Maskenpackung, die Lippen und die Nase bedeckt, in den Öffis habe ich mich darin gewöhnt. 
Der Besuch des Zaunkönigs am Balkon wird zum Fest. Bei der Dämmerung auf den Balkon treten, Vogelfutter bereitstellen und die Freude über Dezemberblüten.

Prag, 30. Dezember 2021, Augnerin


Silvester 2021

31.12. Freitag, morgens regnet es. Gegen Mittag bricht die Sonne durch, wärmt. In der windstillen Ecke des Balkons 20 Grad. Vor einer Woche zeigte das Thermometer - 10 Grad. Das vom Frost vernichtete wird auf den Komposthaufen entsorgt. Nachmittags ist es ruhig - bis auf die Vögel. An der Hauswand lassen sich Fliegen nieder. 

In der Dämmerung, nach 16 Uhr wird der Himmel rot. Die Kracherei startet. Ich hole mir ein Glas und schaue durch die Nacht, vorsatzfrei. 

Augnerin